Rote Linien
Die Berichterstattung der lettischen Presse betont die Abgrenzungen im Wahlkampf: welche Partei möchte mit wem zusammenarbeiten, und mit wem lieber nicht. "Jaunā Vienotība" (JV), die Partei von Ministerpräsidentin Siliņa, nennt zwei durchaus sehr unterschiedliche mögliche Partner für den künftigen Stadtrat von Riga: entweder die "Nationale Vereinigung" (NA), oder die "Progressiven" (Progresīvie). "Wir müssen Riga vor den Kreml-Propagandisten schützen" meint der amtierende Bürgermeister Vilnis Ķirsis (lsm).
Fast jedem eine eigene Partei
Die gegenwärtig im Stadtrat Riga (60 Sitze) regierende Koalition wird aus ziemlich vielen Einzelgruppierungen gebildet: außer der JV sind das die Gruppe "Kods Rīgai", die Parteien "Gods kalpot Rīgai", "Latvijas attīstībai", und "Latvijas Reģionu apvienība", letztere bildet mit der NA eine Fraktion im Stadtrat. Dazu Einzelpersonen, die vorher mit ihrer Gruppierung "Kustība "Par!" eine Fraktion mit den Progressiven bildeten, nun aber mit der Regierungskoalition stimmen.
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Mal eine ganz neue Art von Demo in Riga: der Bürgermeister zieht mit Parteifreund/innen durch die Altstadt und preist seine eigenen vermeintlichen Errungenschaften |
Der Vielversprecher
Aus vielen Parteiprogrammen lassen sich kaum konkrete Ziele für Riga herauslesen. Bei der NA vielleicht eine bevorzugte Bereitstellung von Wohnungen für Familien mit Kindern. Das ist bei Ainārs Šlesers durchaus anders. Früher einmal "Bulldozer" genannt, ist sein momentanes Parteienprojekt zwar nicht sein erstes - mit seiner "Ersten Partei" bestimmte er schon zwischen 2007 und 2011 die politischen Schlagzeilen, 1998 war er Mitgründer der "Neuen Partei", die sich 2001 zunächst in "Neue Christliche Partei" und dann in "Erste Partei" ("Pirma Partija") umbenannte. Sein momentanes Ego-Projekt ist "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā" LPV), wurde 2021 gegründet, stellt wieder einmal seine eigene Person in den Mittelpunkt und trat gleich mal als entschiedene Impfgegner und Verteidiger "wahrer Familien" in Erscheinung.
Eines habe die genannten Parteien gemeinsam: es ist immer irgendwie von „Šlesers Partei“ die Rede. Geboren als Ainārs Leščinskis nahm der mehrfache Parteiführer 1992 den Nachnamen seiner Frau an (Inese Šlesere, 1991 "Miss Lettland"). Als Geschäftsmann öffnete Šlesers einst norwegischen Firmen den Zugang zum lettischen Markt und wurde dafür sicherlich reichlich entlohnt - heute ist er Millionär, niemand fragt mehr danach wie er sein Geld verdient hat. Er war auch an der Entwicklung verschiedener Einkaufszentren und Hotels in Riga beteiligt. Als Verkehrsminister war er einst in den Korruptionsskandal um "Jūrmalgate" verwickelt (jauns / IR / ), und 2011 beantragte Präsident Valdis Zatlers beim Verfassungsgericht die Auflösung des Parlaments, da dieses sich geweigert hatte die Immunität des Abgeordneten Ainārs Šlesers aufzuheben, gegen den wegen Korruption ermittelt werden sollte. Resultat: Neuwahlen, bei denen der "Oligarchenblock" (Latvijas Pirma Partija / Latvijas Celš LPP/LC) mit 2,42% weit unter der 5%-Grenze blieb - obwohl Šlesers seine Partei schnell noch in "Šlesera Reformu partija" (Šlesers Reform Partei) umbenannt hatte.
Der größte Ärger: die Fahrradwege?
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Das kleinmütige Riga kann kaum je so groß werden, wie Meister Šlesers selber, scheint dieser Wahlslogan zu sagen |
Demgegenüber klingen die Sprüche der anderen Parteien fast langweilig: "Sicherheit, Verantwortung, Ordnung" (JV). "Sicherer und menschenfreundlicher Stadtverkehr" (Progressive) Dem entsprechend ist es vielleicht kein Wunder, dass Šlesers mit seiner LPV inzwischen die Umfragen anführt - allerdings mit einer Zustimmung von 8,6% der Befragten auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch wenige Wochen vor der Wahl wissen noch 33,1% nicht, was sie wählen sollen, und zusätzliche 14,5% sagen gar nicht teilnehmen zu wollen. (lsm)